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Immer wieder Dienstag

Beitritt
22.11.2005
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Immer wieder Dienstag

Bihun–Suppe. Heute sollte es Bihun–Suppe mit Paprika und einem Schuss Rotwein bei Hui-Xie geben.
Sie spürte die Blicke sehr wohl, während sie durch den Discounter schlenderte und Paprika in den Korb packte. Es war ja nicht so, dass ihr diese Blicke fremd waren. An manchen Tagen genoss sie es sogar, aber das waren schlechte Tage und meistens stimmten sie die Blicke nur unsicher, unglücklich und unzufrieden mit ihrem ganzen Dasein. Wenn sie zurückschaute, drehten sich die Leute weg, widmeten sich wieder ihrer Arbeit, taten beschäftigt; taten etwas, was sie sonst nicht taten. So wie gerade der junge Verkäufer, der seinen Blick wieder hurtig auf seine Ware richtete, als hätte er ihn nie woanders gehabt.
Am Ende des Ganges blieb ein Mann stehen und schaute ihr hinterher. Auch das spürt man, und das war ja auch das Schlimmste daran: Dass sie dachten, sie würde es nicht merken.
Hier kannte jeder jeden, und das war das Problem an diesem Nest. Viele Leute erzählten ihr von Berlin, von der großen Stadt, oder von Hamburg, wo es so leicht sei ein Doppelleben zu führen oder sich eine Existenz aufzubauen, um es vielleicht eines Tages schaffen zu können.
Vor den Dosensuppen standen zwei tratschende Frauen mit Dosensuppen in der Hand und versperrten ihr den Weg zum Regal. Als stünden sie absichtlich dort. Sie hielten inne, warfen sich wissende Blicke zu, starrten Hui-Xie an und wichen nicht zur Seite. Nur ein wenig Abstand wäre freundlich gewesen, wäre höflich gewesen.
„Verzeihung? Darf ich mal bitte?“, sagte sie mit ihrem Dialekt, aber gut verständlich und deutlich.
Keine Antwort, nur intensive Augen.
Und sie stand genau zwischen diesen Augen, die belustigt schienen, während hinter ihnen Holger Hinkelkin mit Familie vorbeischritt, kurz zum Gruße nickte, an Hui-Xie herunterschaute und seiner Frau um die Hüfte griff. Am Dienstag wird Hui-Xie ihn sehen. Er wird seiner Frau erzählen, es sei beim Kegeln etwas später geworden. Wie jeden Dienstag.
Während sie ihren Lieblingsrotwein suchte, sah sie ihn und ein paar der Anderen beim Schnapsregal stehen. Sie schauten abwechselnd zu ihr, klopften sich auf die Schultern und einer von ihnen deutete in Luftgitarrenmanier eine Stellung an. Die anderen lachten, lehnten sich ins Kreuz und strichen sich über ihre stolzen Bierbäuche.
An der Kasse standen sie dicht hinter ihr. Ganz dicht! Ihre Frauen waren mit den Kindern „schon mal vorausgegangen“. Vater wolle mit den Kollegen noch auf den Sportplatz.
Einer von ihnen griff ihr fest an den Arsch. Die Kassiererin verdrehte die Augen, kassierte das Geld für die Bihun-Suppe, den Rotwein, die Paprika und schämte sich ihres Akne zerstörten, fettigen Gesichtes. Hui-Xie ignorierte beides, ging raus, ging schnell. Die Männer folgten ihr, lachten und öffneten den Schnaps, den sie gekauft hatten. Jeder eine Flasche, verschiedene Sorten, die sie untereinander tauschten. Es musste anscheinend schnell gehen.
Es war schon dunkel und die Straßenlaternen waren noch nicht angesprungen, als Hui-Xie zu rennen begann.
„Heute wird nicht bezahlt!“, riefen sie immer wieder. „Weißt du eigentlich, wie lange ich für dich schuften muss?!“, schrie Günter, den sie an der Stimme erkannte, und schien tatsächlich eine Antwort zu erwarten. Deswegen wiederholte er seine Frage in regelmäßigen Abständen.
Sie hatten ihre Flaschen geleert, worauf sie sehr stolz waren, und warfen damit nach ihr. Hui-Xie zog ihre Schuhe aus und rannte so schnell sie konnte, den Tränen nahe. Sie schaute sich nicht um, verlor ihre Weinflasche, die an der Bordsteinkante zerplatzte, ihre Bihun-Suppe, ihre Paprika. Doch es half nicht: Mehrere Hände rissen an ihr. Sie fiel und wollte schreien, doch eine Hand wurde ihr auf den Mund gedrückt. Sie hörte Reißverschlüsse und wurde ins Gebüsch gezerrt. Der Ort war perfekt. Perfekt für die Täter. Als hätten sie nur gewartet, bis ihr Opfer an dieser Stelle der Straße angelangt war, um zuzuschlagen. Dann wurde ihr die Hose runtergerissen. Die Stimmen der Männer vermischten sich zu einem Brei aus perversen Lauten. Sie kniff die Augen so fest zu, wie sie konnte und dachte an ihre Familie in der Heimat, an ihre Mutter, an ihren Freund, den sie mal hatte.
Dann wachte sie schweißgebadet auf. Es war nicht das erste Mal, dass sie von diesem fürchterlichen Tag geträumt hatte. Sicher war sie zur Polizei gegangen, aber es wäre auf Aussage gegen Aussage hinausgelaufen. Und wer glaubt schon einer Nutte! Spermaspuren hätten sie gefunden. Sicherlich. Aber eine Vergewaltigung hätte sie damit noch lange nicht nachweisen können. Sie hätte diese Wichser höchstens bloßstellen können; vor ihren Frauen und in der Öffentlichkeit. Aber was hätte sie davon gehabt? Kein Geld mehr zum Leben! Und so klopfte auch heute Holger Hinkelkin an ihre Tür, lachte und sagte: "Es ist Dienstag!" Es war nicht das erste, und auch bestimmt nicht das letzte Mal.

 

Hi mac

Danke für so viel!

DA hast du ja schon fast eine eigene Geschichte kreiert. Und es hat nichts damit zu tun, ob ich mich da noch einmal ranwage.
Wieso sollte ich die Geschichte in einer Großstadt spielen lassen, die Enge der Kleinstadt ist hier das Hauptthema!
Aber mal von vorne:
Wieso nicht mit Bindestrich? Ich hab asiatische Namen schon öffter so gelesen. (mal Golio fragen, wenn er wieder da ist)
Ein WEinig verwirrend ist die Geschichte sicherlich. Der Leser will ja auch gefordert werden, und du hast es ja auch geschafft. Es ist eine Mischung aus einem immer wiederkehrendem Alptraum, der an etwas anlehnt, was so, vielleicht nicht mit der Vergewaltigung, geschehen ist, und bei ihren Einkäufen immer wieder passiert. Und der Alptraum hört nie auf, ist ihr Leben.
Man soll hier Traum und Realität verwischen lassen, den ob die Prot hier träumt oder real lebt, es ist so oder so ein Alptraum.
Zu ihrer Person.
WArum sollte ich mich auf einen Faktor beschränken. Es ist im Leben auch so, dass alle Faktoren eine Situation bedingen. Ob sozial, rassistisch oder bäuerlich. Alle Faktoren wirken mit die Szenerie und die Eskalation entstehen zu lassen.

Wie oft laufen Leute durch Kleinstädte, grölen besoffen und schmeißen mit Flaschen. Außerdem war der Ort für die Vergewaltiger perfekt. Steht ja in der Geschichte.
Es ist eine Geschichte, die man nicht auf einen Punkt auslenken kann, da alle Faktoren eine Rolle spielen. Ich wiederhole mich, aber ich finde irgendwie nicht die richtigen Worte. Ich versuche gerade auch gar nicht mich zu rechtfertigen, du hast die Elemente der KG ja richtig erkannt, und genau so wollte ich es auch haben.
WEnn du sags, es sei subtiler, wenn nichts passieren würde, erkennst du genau die Skrupellosigkeit in der Geschichte: Denn es ist ganz egal, ob sie sie vergewaltigen oder nicht. Denn sie können so oder so alles mit ihr machen, was sie wollen. Sie kommen ja ungestraft davon, werden weder sozial noch familiel geächtet oder sanktioniert.

Und meiner Meinung nach kann ein auktorialer Erzähler ruhig wertend sein. Denn er schreibt in dem Moment, aus der Sicht der Prot, und die findet die kassiererin häßlich und die Bierbäuche auch.

Dein Vorschlag ist eine neue Geschichte, die du gerne schreiben kannst, auf die ich mich auch schon freuen würde, würdest du sie schreiben, aber die hat dann mit meiner KG nicht mehr viel zu tun.

ich hoffe, du hast verstanden was ich sagen wollte. Wenn nicht, dann frag mich einfach, ich muss zwar gleich weg, aber hier läuft einem ja niemand davon.

Daher: bis bald

 

Hi Aris,

es ist Deine Geschichte, also kannst Du machen, was Du willst.

Und ich kann nur aus meiner Sicht schildern und mir ist das alles zu viel mit dem Holzhammer. Auch die Verwirrung, die bei mir durch die Vermischung der Zeiten entsteht, habe ich Dir geschildert. Man kann das natürlich mit dem Verwischen von Traum und Wirklichkeit erklären, ich bin allerdings der Meinung, daß der Autor versuchen sollte, an Lösungen zu arbeiten, die den Leser nicht verwirren, es sei denn er macht das mit einem bestimmten Ziel. Das konnte ich hier nicht so richtig erkennen.
Ich habe nicht vor, eine eigene Geschichte zu entwickeln. Es war nur ein Beispiel, um nicht nur irgendwas zu bemängeln, sondern konstruktiv zu zeigen, was man machen könnte.
Ich habe nicht gesagt, daß Du nur einen Faktor verwenden sollst, sondern schlug vor, Dich möglichst auf einen Konflikt (mit den entsprechend zu konstruierenden Gegebenheiten) zu konzentrieren. Wenn Du die Enge der Kleinstadt zeigen willst, dann paßt aus meiner Sicht eine asiatische Prostituierte nicht so richtig rein. Das habe ich oben versucht darzulegen. Und es macht auch keinen Sinn, jeden einzelnen Hinweis aus meiner Meinung herauszunehmen und zu rechtfertigen, da erst die Summe entscheidend ist. Was ich für mich mitnehme ist, daß Du zufrieden bist mit Deiner Geschichte.

Da ich auch nicht weiß, wo Du mit Deinem Schreiben hinwillst, macht es keinen Sinn, hier weiter zu diskutieren. Wenn Dir Deine Zufriedenheit ausreicht, dann ist es doch fein.

gruß
mac

 

Hi mac

Nein ich bin mit der KG eigendlich nicht so zufrieden. Mittlerweile. Als ich sie gepostet habe, war ich es.
Und ich bin dir auch mehr als Dankbar für deine Ausführungen. Versteh das nicht falsch. ich bin nur nicht deiner Meinung.
Und das ich auf all deine Punkte eingehe und argumentiere, nicht rechtfertige, willst du mir ja wohl nicht vorhalten.
Du kannst auch gerne wieder gegenargumentieren. Das sind Sachen, die fürs Geschichtenschreiben wichtig sind, da können wir ruhig diskutieren. Ob ich es dann in dieser Geschichte umsetze, spielt da dóch schon nicht mehr die Hauptrolle. Wir können diese KG als Exempel nehmen, und deine grundlegenden Ratschläge werden bei mir ja auch beachtet und helfen mir bei anderen Geschichten bestimmt weiter.

Gruß

 

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