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Ramón Chao: Ein Zug aus Feuer und Eis / Un tren de hielo y fuego

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Ramón Chao: Ein Zug aus Feuer und Eis / Un tren de hielo y fuego

Seit ich zum ersten Mal von diesem Buch gehört habe, war mir klar, dass ich es HABEN musste. Jetzt HABE ich es endlich und es hat mich nicht enttäuscht. Eine deutsche Übersetzung gibt es meines Wissens nicht, die französische Originalausgabe ist vergriffen und die spanische Version (meine!!!) schwer zu kriegen, aber es lohnt sich!!
Zum Inhalt:
In Kolumbien gibt es 3.200 Kilometer Eisenbahnstrecke, aber nur die Hälfte davon ist nutzbar. Passagierzüge gibt es seit nunmehr 25 Jahren nicht mehr.
Vor elf Jahren – 1993 – überlegte sich eine Handvoll französischer Idealisten, dass es doch toll wäre, wieder einen Passagierzug auf der alten Linie des Expreso del Sol (Sonnenexpress) zwischen Bogotá und der Küstenstadt Santa Marta einzurichten. … Ein Passagierzug? Das ist nur begrenzt richtig. Es ist etwas ganz anderes, das Projekt Expreso de Hielo (Eis-Express), das schließlich auf die Beine gestellt wird, entgegen aller Widerstände und ungläubigen Kopfschütteln. Es ist ein Zug mit einer bunt gemischten Besatzung: die französischen Gruppen Mano Negra und French Lovers, Trapezkünstler, brasilianische Musiker, Puppentheater und Tätowierer, außerdem eine Handvoll Techniker und Mechaniker, ein Zirkus auf Schienen eben. Die Idee: Von Santa Marta nach Bogotá fahren, mitten durchs Guerillagebiet, und für die Leute in den Dörfern gratis Vorstellungen geben. Kein Mitglied der Truppe wird auch nur einen Peso an dem Projekt verdienen. Keiner weiß, ob sie überhaupt lebendig zurückkommen werden. Es klingt völlig verrückt, aber es kommt zustande. Und da so ein Unternehmen einen guten Chronisten braucht, bittet man Ramón Chao, den Vater von Manu Chao, diesen Part zu übernehmen. Manu Chao stellt allerdings Bedinungen: „Dein Text muss von allen verstanden werden können. Dein letzter Roman war viel zu schwierig, ich konnte ihn gar nicht zuende lesen.“
Sein Vater verspricht sich Mühe zu geben.
Resultat seiner Chronistentätigkeit ist „Ein Zug aus Feuer und Eis“ (Un tren de hielo y fuego, oder, in der französischen Originalausgabe, Un train de glace et de feu), ein akribisches Tagebuch, fast ein Roman, eine wundervolle Geschichte. Ihr Zauber liegt natürlich zum einen in ihrem Inhalt, zum anderen aber dahin, dass Ramón Chao zu erzählen weiß.
Es ist eine Reise, die mitten ins Herz der Werke von Gabriel García Márquez zu führen scheint, und das tut sie in gewisser Weise auch wirklich, denn man kommt nach Aracataca, den Geburtsort des Nobelpreisträgers, das wahre Macondo. Aber auch all die kleinen Anekdoten, die Chao einstreut, die von Kolumbien an sich handeln, erinnern an diesen magisch-realistischen Kosmos und man hat das Gefühl, dass solche Geschichten einfach nur in Kolumbien passieren können.
Der Zug aus Feuer und Eis fährt in die kleinen Dörfer. So wie bei García Márquez die Zigeuner den Leuten dort allerlei Neues und vor allem eben das Eis bringen, so bringen die Franzosen ihnen bunte Spektakel. Auf den ersten Blick mag ein Rockkonzert oder der Auftritt eines gewaltigen Roboterdrachen namens Roberto, der Feuer spucken kann, nichts allzu Spektakuläres an sich haben. Doch die Besatzung des Expreso de Hielo bringt diese Dinge in Ortschaften, wo das tägliche Leben bestimmt ist von der Guerrilla und den Machenschaften der großen Drogenbosse, wo die meisten Leute noch niemals irgendwelche Künstler aus Fleisch und Blut gesehen haben und wo es ein Wunder ist, wenn bei einem größeren Menschenauflauf keine Toten zu beklagen sind.
Dabei ist den Künstlern zunächst gar nicht klar, was ihre Anwesenheit in Kolumbien wirklich bedeutet, und es ist auch keine einfache Reise. Ihre Motivation ist grenzenloser Idealismus, die Probleme der Tour sind dagegen sehr handfest: es fehlt vorne und hinten an allem, sei es Essen, sei es Wasser, das versprochene Geld von den Sponsoren bleibt aus, die Moskitos fressen einen fast auf, alle haben Durchfall und Fieber, das Programm ist ein einziges Chaos und die Truppenmitglieder gehen sich gegenseitig auf den Geist. Ernüchterung macht sich breit. Es gibt eine Menge Leute, die einfach hinschmeißen. Auch deshalb, weil die Bedrohung allgegenwärtig ist. Das ganze Projekt muss absolut apolitisch bleiben, nur so hat man eine Chance, lebendig ans Ziel zu kommen. Und so zuckelt der Zug dahin, mit durchschnittlich zwanzig Stundenkilometern und regelmäßigen Entgleisungen. Ramón Chao erzählt nicht nur die Geschichte dieser Reise, sondern auch zahllose Geschichten aus Kolumbien, von seiner Schönheit und seinem Elend. Gleichzeitig ist es die Geschichte von Träumen und Wünschen. In einem der 21 Waggons dürfen die Besucher des Spektakels ihre Wünsche hinterlassen. Es sind Menschen, die von einem sauberen Hemd träumen, von einer Enzyklopädie, von der Fußballweltmeisterschaft. Und von einem Stück Land, von der Rückkehr der Passagierzüge, vor allem aber vom Frieden.
Die gesamte Zugbesatzung bricht zu dieser Reise auf, um sich persönliche Träume zu erfüllen. Aber irgendwann auf der Strecke wird ihnen klar, dass sie das alles längst nicht nur für sich selbst tun, sondern vor allem für die Leute in den Dörfern, die von ihnen gehört haben und jetzt auf sie warten; dass sie sich eine unerwartet große Verantwortung aufgehalst haben.
„Ein Zug aus Feuer und Eis“ ist vermutlich einer der märchenhaftesten, realistischsten und zugleich schönsten Reiseberichte, die je geschrieben wurden. Es ist eine außergewöhnliche Reise, die man beim Lesen unternimmt. Ramón Chao hat sich die Ratschläge seines Sohnes zu Herzen genommen, schreibt schlicht, flüssig und fast immer mit einer Prise Humor. Ein wundervolles Buch über Kolumbien, ein Abenteuer à la García Márquez und über die Träume.
... hehe ... mal sehen, ob sich jemand bis hier unten durchkämpft.
Ich gehe jetzt und lese das Buch zum 2. Mal.
liebe Grüße
ciao
Malinche

 

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