Walter Moers: Die Stadt der träumenden Bücher
Walter Moers ist bei seiner Suche in den Bücherregalen andere Welten ein wahrhaft überragender Autor in die Hände gefallen - der Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz. Er hat die Werke dieses Autoren der Allgemeinheit zugänglich gemacht und sie aus dem Zamonischen übersetzt.
Zamonien, die Welt, in der Mythenmetz' autobiografisches Werk seinen Lauf nimmt, unterscheidet sich stark von der Erde - nicht nur durch seine Artenvielfalt, die dem belesenen Fantasten bekannt vorkommen mag. Durch die etwas einseitige Darstellung weckt Mythenmetz in dem Leser den Eindruck, die Zamonier täten den ganzen Tag nur eines - lesen!
In der Lindwurmfeste ist es ein alter Brauch, dass jedem Neugeborenen ein Dichtpate zur Seite gestellt wird. Als Mythenmetz' Dichtpate stirbt, vererbt er ihm ein Manuskript, das ihm vor Ehrfurcht die Tränen in die Augen treibt. Nachdem er seine Minderwertigkeitsgefühle und Suizidgedanken, die ihn nach dem Lesen des Manuskriptes heimgesucht haben, überwunden hat, macht er sich auf, der Spur des mysteriösen Autors zu folgen. Der ist nämlich, auf Anregung des Dichtpaten, nach Buchhaim gegangen, um dort sein Manuskript zu veröffentlichen - und spurlos verschwunden.
Buchhaim ist eine Stadt, die das Autorenherz höher schlagen lässt. Denn überall geht es nur um Bücher, Bücher, Bücher. Der Reisende, der in die Stadt kommt, sieht als erstes Antiquariate, die stellenweise nach Themen sortiert sind, stellenweise nach dem Alter und dem Wert. Man kann sogar Buch-Überraschungspakete kaufen, wo manchmal echte Schnäppchen zu finden sind. Abends, zur "Holzzeit", finden an allen Ecken und Enden Lesungen statt. Dichter und Autoren stehen auf den Straßen und deklamieren laut aus ihren Werken, in der Hoffnung, dass ein vorübergehender Verlagslektor auf sie aufmerksam wird. Darsteller haben sich als Figuren aus großen Werken verkleidet und deklamieren für ein paar Münzen Passagen daraus. In Buchhaim wird das Lesen zum Kult erhoben.
Unter der Stadt erstreckt sich ein gewaltiges Labyrinth - das Reich der Buchjäger und allen möglichen Arten abscheulicher Kreaturen. Zur Gründerzeit von Buchhaim wurde hauptsächlich das Labyrinth als Lagerstätte für die ganzen Bücher benutzt, und bis zum heutigen Tage verrotten wahre Schätze der zamonischen Literatur in den dunklen Gängen. Diese aufzuspüren ist der Beruf der Buchjäger, die auf der Suche nach wertvollen Büchern immer tiefer in die Katakomben vordringen - bis ins Reich des mysteriösen Schattenkönigs oder der Schrecklichen Buchlinge, die angeblich Literatur fressen sollen! Als widrige Umstände Mythenmetz in das Labyrinth verschlagen, fällt er ausgerechnet den Buchlingen in die Hände...
"Die Stadt der träumenden Bücher" (Libri) ist ein wunderbares Buch. Mythenmetz verknüpft mit der allergrößten Selbstverständlichkeit Ereignisse, die uns Terranern seltsam und unverständlich vorkommen mögen. Leider hat Herr Moers beim Übersetzen einige wenige Plusquamperfekt-Fehler eingebaut, aber die trüben den Lesegenuss nur unwesentlich. Für jeden Büchernarren ist dieses Werk ein Muss!
gruß
vita