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Emine Sevgi Özdamar: Die Brücke vom Goldenen Horn

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Emine Sevgi Özdamar: Die Brücke vom Goldenen Horn

Hallo!

Das Buch heißt „Die Brücke vom Goldenen Horn“, wurde verfasst von Emine Sevgi Özdamar und ist 1998 erschienen bei Kiepenheuer & Witsch. Die Autorin schreibt trotz ihrer türkischen Herkunft auf Deutsch. Wie es dazu kam, erfährt man mehr oder weniger in diesem stark autobiografisch geprägten Roman. Er ist der zweite von drei zusammengehörenden Romanen der Autorin. Die anderen beiden habe ich leider noch nicht gelesen. Der erste der drei wurde ausgezeichnet.

Zum Inhalt: Es ist 1966, die achtzehnjährige Ich-Erzählerin macht sich von Istanbul aus auf den Weg nach Westberlin, zunächst um dort als Gastarbeiterin in einer Fabrik zu arbeiten, jedoch eigentlich mit dem Ziel, nach einem Jahr zur Schauspielschule zu gehen. Ihre ersten Erlebnisse muten klaustrophobisch an, da sie das „Wonaym“ der Gastarbeiterinnen, wie sie ihre Unterkunft in vollkommener Unkenntnis der deutschen Sprache nennt, kaum einmal wirklich verlassen kann. Erst nach und nach rutscht sie in die sich erst entwickelnde Szene aus sozialistischen Intellektuellen, Studenten und Arbeitern, die sich in Kneipen und Vereinen treffen, herein. Hier und im „Wonaym“ macht sie viele seltsame Beobachtungen, angenehme und unangenehme Erfahrungen, die meist sehr amüsant sind, weil mit so großer Einfachheit und Direktheit beschrieben, daß man den ironischen Unterton oft gar nicht bemerkt.

Da ist jedoch auch von Anfang an eine Tendenz zum Surrealen vorhanden, unterstützt durch die Tatsache, daß die Autorin nur wenige Dialoge einbaut und ihre Erzählerin hauptsächlich Beobachterin ist, die nur selten ausdrücklich ihre Gedanken oder Absichten beschreibt. Ein Stilmittel ist auch das Einblenden von Schlagzeilen aus den Zeitungen, anfangs völlig ohne Zusammenhang, am Ende des Buches jedoch von erschreckender Bedeutungsfülle.

Wie die Erzählerin diese fremde Stadt und die merkwürdigen Milieus, in denen sie sich bewegt, erlebt und bewertet, wird hauptsächlich aus dem Weg ersichtlich, den sie beschreitet. Sie ist noch nicht erwachsen, und ihre Unsicherheit dabei, ihren Weg zu finden, erlebt der Leser dank dieses offenen Erzählstils sozusagen am eigenen Leib.

Nach einem Jahr und einem kurzen Intermezzo in Istanbul kehrt sie wieder nach Deutschland zurück, um endlich Deutsch zu lernen. Dann sucht sie sich wieder Arbeit, bereist Paris und kehrt schließlich nach Istanbul zurück. Hier schließt sie sich endgültig den sozialistischen Studenten an und macht ihren Traum wahr und besucht die Schauspielschule. Ihren Eltern ist sie mittlerweile entfremdet. Die Studentenrevolte nimmt in ganz Europa immer chaotischere und blutigere Züge an, und in der Türkei werden die Studenten von der Regierung zunehmend kriminalisiert. Die Erzählerin gerät mitten in diesen Strudel. Das grandiose Ende des Romans möchte ich natürlich nicht verraten. Nur eines sei noch erwähnt: Erst ganz am Ende entfaltet der oben beschriebene Erzählstil mit zunehmendem Tempo der Handlung seine volle Kraft. Gerade wegen dieses etwas anderen Erzählstils möchte ich dieses Buch jedem empfehlen, der sich für das Schreiben interessiert.

Ich könnte noch vieles hinzufügen, will es aber hier gut sein lassen. Nur für alle, die es nicht ohnehin schon gemerkt haben: Dieses Buch ist nichts für passionierte Krimileser, der Spannungsbogen ist hier anders geartet. Es fällt eher in die Kategorie Entwicklungsroman und braucht daher einen etwas längeren Atem.

Viel Spaß beim Lesen!

Majolu

 

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