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Makedonischer Honig
In einem makedonischen Bergdorf gab es einen Imker. Schon sein ganzes Leben war er Imker. Sein Vater hatte ihm die Bienenstöcke vermacht, genauso wie er sie von seinem Vater übernommen hatte. Jeder hatte den Sohn mitgenommen in die rauen makedonischen Berge, hatte ihm gezeigt, wo man die Beuten aufstellte, wie man ein neues Bienenvolk gründete und wodurch jeder Honig sein individuelles Aroma bekam.
Über die Jahre hinweg perfektionierte der Imker die Kunst der Honigherstellung. Er konzentrierte sich einen speziellen Akazienhonig, dem eine handvoll Walnüsse begegeben wurden. Hierfür wurden die Nüsse frisch geerntet und in der Sonne getrocknet, um sie dann, auf dem Boden des Glases, durch den Honig natürlich zu konservieren. Diese Tradition, so schärfte ihm der Vater ein, stamme wie seine Vorfahren aus Ostungarn und dort aus der Region Tarpa - das solle er nie vergessen.
Mehr wußte der Imker nicht von Tarpa. Er wußte, daß sein Honig bis in die Stadt berühmt war und daß vor allem während der Sommermonate die Reisebusse extra anhielten, damit die Touristen ein kleines Gläschen in die Heimat mitnehmen konnten. Er selbst war nur ein einziges Mal in der Stadt gewesen, als er seine Frau heiratete. Ansonsten überließ er seiner Familie sämtliche Erledigungen. Er blieb lieber in seinem Dorf, zupfte an seiner Pfeife und schaute den Vögeln zu. Er suchte nichts da draußen in der Welt und er vermisste nichts. Die Touristen mit ihren verschiedenen Sprachen und Kleidungen betrachtete er interessiert, aber nie kam in ihm der Wunsch auf, zu erfahren, wie und wo sie lebten.
Eines Tages kam ein Mann die staubige Dorfstraße herauf. Das war sonderbar, denn die Touristen kamen sonst nie zu Fuß. Sie entstiegen klimatisierten Bussen, warfen einen kurzen Blick auf die Berge, kauften ihren Honig und stiegen wieder ein. Dieser Mann aber kam mit festen Schritten die Straße herauf und hielt neben dem Stand des Imkers an. Er holte ein Taschentuch aus der Hose und entnahm seinem Rucksack eine Trinkflasche. Er benetzte das Taschentusch und legt es sich mit einem seufzen auf die Glatze, die in der Mittagssonne bereits rot zu leuchten begann.
Erst jetzt schien er den Imker zu bemerken.
„Ist es noch weit, bis Kastoria?“, fragte er den Imker auf griechisch, doch der Akzent verriet ihn.
„Nein, nicht mehr weit“, antwortete der Imker. „Sie gehen die Straße bis zum Ende und dann biegen Sie nach links ab. Der Weg führt dann hinab bis Kastoria.“
Doch der Mann hörte nicht mehr genau hin. Seine Aufmerksamkeit galt dem Honig.
„Ist das Honig aus dieser Gegend?“ fragte der Mann.
„Der Honig ist von überall“, sagte der Imker. „Es kommt drauf an, wo meine Bienen hinfliegen. Von dort ist der Honig.“
„Darf man kosten?“, fragte der Mann.
Das war eine Frage, die der Imker bei den Touristen kategorisch ablehnte. Wenn jeder von dem Honig kostete, dann war der Honig alle. Aber dieses Mal beschloss er, eine Ausnahme zu machen. Jemand, der zu Fuß die Straße heraufkam und der sich für seinen Honig wirklich zu interessieren schien, der hatte es auch verdient, etwas von dem Honig zu kosten. Er drehte ein Glas auf und hielt es dem Fremden hin.
„Probieren Sie.“
Der Mann nahm das Glas, aber er tauchte nicht sofort den Finger hinein, wie der Imker es erwartet hätte. Vielmehr roch der Mann an dem Honig und hielt das Glas in die Sonne. Dann nahm er seinen kleinen Finger, tauchte ihn ins Glas und ließ den Honig wieder ins Glas laufen.
„Interessant“, sagte der Mann. „Darf ich kosten?“
Der Imker nickte, dafür hatte er ihm das Glas doch aufgemacht.
Der Mann steckte den Finger nicht in den Mund, sondern beträufelte seine Zungenspitze mit dem Honig. Er kaute den Tropfen eine Weile im Mund herum und fluchte etwas auf ausländisch. Er nahm einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche und spülte den Mund aus. Dann träufelte er erneut einen Tropfen auf seine Zungenspitze und begann seinen Mund in verschiedene Richtungen zu bewegen. Ab und zu murmelte einige Oh´s oder Aha´s, denen er ausländische Worte folgen ließ.
Plötzlich erstarrte der Fremde. Sein Blick hing fest über den Bergen und sein Körper sah so aus, wie ein knorriger Baum, der all seine Blätter verloren hatte. Offenbar konzentrierte er sich sehr heftig auf etwas in seinem Mund.
„Ahhhh“, rief der Fremde plötzlich und noch mal. „Ahjahjah.“
„Was?“, fragte der Imker.
„Ich kenne diesen Honig“, nickte der andere eifrig. „Sie müssen wissen, ich war vor drei Monaten im Altai, wir haben die Gegend für eine Ölleitung vermessen und da gab es so einen kleinen Ort, wie hieß der doch gleich...“
„Tarpa?“
„Nein. Aktasch. Genau! Und dort habe ich diesen Honig schon einmal probiert. Ohne Nüsse zwar, aber der gleiche herbe Geschmack mit einem Schuß Zitronenmelisse. Mmh nicht zu süß, wie dieser Yukatanhonig aus Mexiko. Aber doch so fest und zähflüssig. Jaja, das war Aktasch.“
Er strahlte den Imker an und schien auf eine Bestätigung zu warten.
Der Imker sagte nichts, sondern schaute aufmerksam in das Gesicht des Fremden. Auch wenn er versuchte, nach außen hin ruhig zu wirken, so verrieten doch seine Hände die Erregung. Mit der Rechten umfaßte er seine Pfeife mit solcher Heftigkeit, daß der Knöchel hervortrat. Das linke Auge verengte sich unmerklich und der Blick des Imkers fixierte einen Punkt hinter der Stirn des Fremden. Die Nasenflügel weiteten sich, als er die Luft zu einem tiefen Atemzug einsog.
Der Fremde bemerkte diese winzigen Veränderungen nicht. Er schaute erwartungsvoll in das ruhige Gesicht des Imkers, der keine Anstalten machte, etwas zu entgegnen. Es entstand eine unangenehme Stille, die nur durch das Zirpen der Zikaden durchbrochen wurde.
Das Schweigen des Imkers verunsicherte den Fremden. Normalerweise wurde er nach einer solchen Einleitung mit Fragen bestürmt. Jeder wollte etwas hören, über sein außergewöhnliches Leben als Reisender. Über die dünne Luft in Mexiko oder die Kälte im Altai, Geschichten über Land und Leute, so, daß er einen Ansatz hatte, um von seinen Erlebnissen zu erzählen.
Da der Imker stumm blieb, beschloss der Fremde, selbst in die Offensive zu gehen. Schließlich sprach er gern von seinen Reiseerlebnissen.
„Waren Sie schon mal im Altai?“ fragt er mit gewinnendem Lächeln.
Doch sein Gegenüber machte keine Anstalten dem Fremden entgegen zu kommen. Mit unerschütterlicher Ruhe schaute ihm offen ins Gesicht. Der Tourist senkte den Blick. Er hatte das Gefühl, als lese der andere seine Gedanken.
Gerade begann er zu überlegen, wie er aus dieser Situation wieder herauskam, als der Imker plötzlich sein linkes Auge zusammen kniff und den Kopf etwas schief legte.
„Dieser Honig“, sagte er langsam, als hole er jedes Wort aus seinem Innersten hervor, „schmeckt rauchiger als der Altai-Honig.“
Der Fremde blickte überrascht auf. Damit hatte er nicht gerechnet. Er versuchte einen Hinweis im Gesicht des Imkers zu finden. Einen Scherz, eine Drohung, eine Unsicherheit, doch er konnte nichts entdecken.
Langsam, den Imker nicht aus den Augen lassend, hob er die Wasserflasche zum Mund und spülte erneut aus. Diesmal nahm er eine größere Honigmenge in den Mund. Lange ließ er den Honig zwischen den Backen kreisen. Verloren war sein Blick, den er über die Gipfel der Berge schickte. Nach langer Zeit kehrte er zurück zum Imker, der ihn unverwandt anblickte.
"Stimmt", nickte er anerkennend. „Definitiv ist dieser Honig rauchiger. Sie haben recht, ich war wohl etwas zu voreilig. Sie sind vielleicht ähnlich, aber nicht gleich. Bei dieser Vielfalt in der Welt kann man leicht etwas durcheinanderbringen, nicht wahr?" Er lachte befreit. "Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir drei Gläser einzupacken?“
Langsam, sehr langsam, hob der Imker seine Pfeife und steckte sie sich zwischen die Zähne. Dann begann er, dem Fremden drei Gläser in ein Zeitungspapier einzuwickeln.
„Wollen Sie mir nicht das angefangene geben?“ rief der Fremde und deutet auf das offene Glas, in dem sich die Sonne spiegelte.
Doch der Imker schüttelte entschieden den Kopf. „Ich verkaufe nur geschlossene Gläser.“
Der Fremde bedankte sich und nahm den Rucksack wieder auf den Rücken.
„Also auf nach Kastoria“ sagt er.
Der Imker nickte ihm zum Abschied langsam zu. Er schaut dem Fremden nach, wie dieser die Straße hinauf zum Kamm erklomm.
Erst jetzt, als die Gestalt des Touristen kleiner und kleiner wurde, entspannte sich die Haltung des Imkers. Er klopfte mit der Pfeife gegen das Glas und blickte noch einmal hinauf zum Kamm, der nun wieder verlassen in der Sonne lag. Nun tauchte er den kleinen Finger hinein und versenkte ihn mit einem Schmatzen im Mund. Ja sein Honig war etwas Besonderes. Niemand hatte einen solchen Honig, wie er, zu verkaufen. Der Fremde hatte sich wohl geirrt.
Bedächtig setzte der Imker wieder seine Pfeife in Brand und ließ den Blick zufrieden über seine Berge schweifen.