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Die unerträgliche Bedeutungslosigkeit des Schreibens

Zuletzt bearbeitet:

Stephen King.
Ich wusste es! So ein flacher Aphorismus kann doch nur von einem wie King stammen.

@Frauke

Und ja: es wäre wünschenswert, wenn Autoren auch hinter den emotionalen Aspekten ihrer Geschichten stehen.
Zustimmung.
Also laßt uns zum ursprünglichen Thema zurückkehren und wieder mehr Leute an der Diskussion beteiligen. Hier wird nicht mehr scharf geschossen ( auch nicht haarscharf vorbei )
Scharf geschossen? Haben wir scharf geschossen? Meinst du? ;)

Aber du hast schon Recht: So langsam parodiert sich dieser Thread schon selbst. Der Ausgangspunkt hieß: "Die unerträgliche Bedeutungslosigkeit des Schreibens". Dabei haben wir jetzt doch nun seiten- und tageweise gerade über Bedeutungen diskutiert. Aber auf welcher Ebene!
Und jetzt wird's langsam tatsächlich "unerträglich". Die Prophezeiung hat sich erfüllt!! :D

Nur ein letztes noch: Wer lediglich seine Meinung kundtut, reflektiert mAn nicht. Auch Denken tut er, meiner Definition nach, dabei keinesfalls. Denn das eigentliche Denken - wenn es denn je stattgefunden hat, denn "Meinungen" sind eigentlich häufiger "Deinungen" als irgendetwas anderes, dh. schlicht übernommen - erfolgte in diesem Fall in 99% aller Fälle schon vor Jahren und Jahrzehnten derjenigen Person. Da wird also sozusagen nur etwas aus der "Schublade" geholt.

Mich würde jetzt grad ehrlich interessieren, ob man eine gute Geschichte schreiben kann, ohne sich dabei in die Geschichte und / oder Personen hineinzufühlen??? Ich selbst kann das nicht, aber ist es möglich?
Nachdem wir uns darüber geeinigt haben, was eine "gute Geschichte" ist würde mich gegebenenfalls eine Beispiel dazu interessieren. Ansonsten fällt mir jetzt gerade nichts wesentliches dazu ein.

 

Nachdem wir uns darüber geeinigt haben, was eine "gute Geschichte" ist würde mich gegebenenfalls eine Beispiel dazu interessieren. Ansonsten fällt mir jetzt gerade nichts wesentliches dazu ein.

nur noch kurz, bevor ich mir internet-Abstinenz verordne:

eine objektiv gute Geschichte... nun ja, statistisch für gut befunden... was auch immer... darauf wollte ich nicht so sehr hinaus.

Ich würde einfach gern sehen, wie mir persönlich eine Geschichte gefällt, die ohne "Fühlen" geschrieben ist. Und dann anhand der Handwerksregeln und der anderen Postings dazu eine Verobjektivierung wagen... "ein Stück weit" ( um Jack zu zitieren )

... Für mich allerdings wird es kein neuer Stil sein, Gefühllos-Schreiben.... das gibt mir dann als Autor persönlich nichts mehr - und ich vermute: mir als Leser eben auch nicht....

 

interessante Diskussion, Philo´s Heidegger- Hinweise lassen mich wahrscheinlich nicht einschlafen, bemerkenswert.
Wow. Dass du jetzt nicht einschlafen kannst, wollt ich zwar nicht beabsichtigen, Wolto. Aber es erleichtert mich schon ein wenig, dass auch meine längeren Ausführungen überhaupt jemand hier liest. Nicht, dass es mir nicht auch immer selbst etwas bringen würde - immerhin verhilft es mir zum tieferen Einstieg und Verständnis in die Materie, die mich persönlich interessiert. Trotzdem mag ich das Gefühl eines gewissen "ins Leere schreiben" nicht so besonders. Daher bin ich natürlich zu jeder Resonanz dankbar.

Ich persönlich empfinde den Bezug von Heideggers Gedankenwelt zur Literatur sehr fruchtbar. Die Literatur ist als eine der Ausdrucksformen der Kunst potenziell dazu in der Lage, eine Verbindung zwischen dem Außen und dem Innen herzustellen. Viele Schriftsteller - Laien wie Profis - schreiben aber lediglich so, wie wir es weltanschaulich gesehen von den exoteren Wissenschaften her hinlänglich gewohnt sind: rein objektiv und anschaulich. Was dabei zu kurz kommt, ist der Bezug zu uns selbst als menschliche Wesen und die Bedeutung, die uns in dieser eigenartig fremd gewordenen Welt zukommen muss. Die Kunst ist für mich wie eine hoffnungsvolle Brücke, die mir erklären soll, wie ich diese Welt zu verstehen habe. Das ist nur möglich in Geschichten, die etwas bedeuten. Aber wo sollen diese denn nun hin-"deuten"? Ich meine: Dorthin, wo wir Menschen uns ursprünglich befinden; da, wo wir eigentlich Menschen sind. Denn nach Heidegger sind wir noch immer "Uneigentlich". Sartre beschrieb das später, aufbauend auf Heideggers Philosophie, mit seinem Ausgangspunkt: "Die Existenz geht dem Wesen voraus". Das heißt, dass wir leben, wie ein Vogel (Existenz) in einem goldenen Käfig (Wesen). Wir meinen frei zu sein, können "fliegen", wohin wir wollen. Aber das existenzielle "Nichts" wartet sozusagen schon um die Ecke auf uns und droht uns in seinen Abgrund zu reißen. Die langsam erwachende Erkenntnis gibt uns eine leise Ahnung davon, dass wir in Wahrheit in diesem Käfig leben, dessen Gitter wir nur kaum auszumachen vermögen. Daher glauben wir mitunter, dass es diese nicht wirklich gibt. Aber genauso, wie wir uns unseres langsamen Sterbens während jeder einzelnen Minute unseres Lebens nicht bewusst sind, nur dank unserer Fähigkeit der Übertragung davon wissen, dass wir alle eines Tages tot sein werden, und damit aufhören, in dieser Welt zu existieren, genauso vollkommen sind uns diese existenziellen Grenzen zugesichert, denen wir niemals entkommen können.

 

Ich würde einfach gern sehen, wie mir persönlich eine Geschichte gefällt, die ohne "Fühlen" geschrieben ist. Und dann anhand der Handwerksregeln und der anderen Postings dazu eine Verobjektivierung wagen... "ein Stück weit" ( um Jack zu zitieren )
Für mich persönlich ist zB. Garrisons Stille aus dem "Surreale Geschichten"-Challenge eine rein objektiv orientierte, gefühllose Handlung ohne jede Bedeutung. Zumindestens letzteren Punkt gab der Autor damals im Laufe einer sehr interessanten Diskussion schließlich ohne Umschweife zu (und fand das auch gar nicht abwertend).

Das bemerkenswerte daran war, dass diese Geschichte ganz überwiegend ausnehmend gut bewertet wurde - und am Ende gar den dritten Platz in diesem Challenge belegte. Vielleicht liegt es - worauf relysium schon einmal anderswo treffend hinwies - am surrealen Charakter einer Geschichte wie dieser, in der allgemein einfach mehr Narrenfreiheit zugestanden wird als in Geschichten des Alltags. Tatsächlich bleibt diese Geschichte nicht nur für mich (auch Häferl zumindest pflichtete mir damals bei) letztendlich völlig ohne jeglichen Inhalt, ohne Gefühl und Bedeutung.
Und wer jetzt meint, etwaige Gefühle beim Lesen dieser Geschichte empfunden zu haben, sollte sich fragen, ob es nicht vor allem seine eigenen waren, welche er in diese Handlung hineinlegte; genauso vielleicht, wie man sich auf eine Wiese legt und die Natur betrachtet, in ihrer Schönheit. Aber die Natur selbst hat kein Gefühl. Und sie hat nach meinem Verständnis auch keinen "Inhalt" und keine Bedeutung - erst wir Menschen sind es, die der Natur diese Dinge verleihen.
Und genau so empfand ich es mit dieser Geschichte. Hier versucht niemand, sich mir mitzuteilen. Die Geschichte ist damit für mich mehr tot als lebendig. So tot, wie es eben jeder Gegenstand ist, und sei er auch noch so schön. Aber selbst einem Diamanten kann ich nicht in die Augen sehen!

 

Ich würde einfach gern sehen, wie mir persönlich eine Geschichte gefällt, die ohne "Fühlen" geschrieben ist.
Es gibt einige Geschichten, die ohne Fühlen im eigentlichen Sinn geschrieben sind. Dann nämlich, wenn sich ein Autor Gefühle zusammenreimt oder nur aufgrund halbseidener Informationen glaubt, er wisse über die Gefühle in einer bestimmten Situation bescheid.

Vanessa Redgrave sagte in "Zweiter Aufschlag":

Ein Fisch der in Freiheit lebt,
kann niemals nachempfinden,
was einer fühlt,
der am Haken hängt.

(frei zitiert, vielleicht stimmt nicht jedes Wort genau)

Das meine ich. Wobei ich nicht sage, daß jemand der schreibt, alles selbst erlebt haben muß. Aber jemand, der über Themen wie Sucht, Depressionen, Aids usw. schreibt, der sollte doch zumindest einmal mit einem Menschen, der eben süchtig, depressiv, HIV-positiv usw. ist, intensiver gesprochen haben, ihn nach Möglichkeit erlebt haben, bevor er drüber schreibt.
Für mich gehört das genauso zu guter Recherche, wie alle anderen Details einer Geschichte.

Ich weiß, das klingt jetzt arrogant. Aber was haben die Depressiven davon, wenn sie in der Literatur völlig verzerrt dargestellt werden, wenn man ihnen Eigenschaften gibt, die überhaupt nichts mit ihnen zu tun haben?
Die Leser gehen davon aus, daß der Autor gut recherchiert hat und glauben dann aufgrund seiner Geschichte, jetzt endlich verstünden sie die Gefühle von Depressiven. Dabei sind sie nur einer Fantasie aufgesessen...

Sowas ärgert mich immer wieder.

Gefühle kann man nicht denken und wenn man von etwas keine Ahnung hat, sollte man es bleiben lassen und sich anderen Themen widmen.

Aber das ist nur meine subjektive Meinung dazu. :)

 

Hallo Philo,

ich habe die gesamte Diskussion verfolgt, wollte das aber ´mal aus der Distanz tun.
Mir geht es auch oft so, dass eine Thematik durch schreiben, oder einen ausgearbeiteten Vortrag erst richtig Struktur annimmt.
Dass „der Bezug zu uns selbst“ „zu kurz kommt“, liegt vielleicht auch am `Verhaftet Sein´ im cartesianischen Weltbild, weil „uns“ sich nicht nur auf individuelle `Ichs´ bezieht, sondern auf Individuen in einem gesellschaftlichen Kontext. Ortega y Gasset geht deshalb einen Schritt weiter: Der Mensch ist Ergebnis seiner individuellen Existenz und seiner Umstände. Dies kann ich gut mit Deiner Forderung der „hoffnungsvollen Brücke“, der „hin- deutenden“ Geschichte vereinbaren, da nur der die Umstände Einbeziehende in der Gesellschaft zum „wirklichen Menschen“ wird.
Eine gewisse gesellschaftliche Relevanz ist sicher ein wichtiger Schritt in Richtung `gute Geschichte´, egal, ob sie dies durch Ansprechen von Gefühl oder Intellekt erreicht.(Natürlich gibt es meistens Mischformen, diese Anteile sind auch nicht so entscheidend, sondern die Aussage).
Allerdings sind Geschichten die „hin- deuten“ nicht alltäglich Brot, sondern eher das Luxusmenü...
(Aber ein unbewertetes!).

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Häferl,

manchmal frage ich mich, wieviele Autoren sich die Mühe einer Recherche machen (und natürlich finde ich es merkwürdig, wenn niemanden zu interessieren scheint, was ein Autor in seine Geschichte gepackt hat). Vielleicht ist dies mit ein Grund für weniger gute Geschichten, Autoren sind demotviert. Wahrscheinlich ist es ein Wechselspiel, Leser (Kritiker) können auch demotiviert sein...

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Liebe Die philosophische Ratte

Ich bin einigermaßen erstaunt gewesen als ich heute morgen deinen Beitag las, den du gestern am 20.Sept. gegen 4.10 Uhr geschrieben hast. Ich darf alle Mitleser bitten, die Ausführungen von Die philosophische Ratte durchzulesen, weil ich jetzt darauf Bezug nehmen werde, ohne alles nochmals zu zitieren.

Die von dir angesprochene Geschichte kam dir also tot vor und mir erscheint dein Statement dazu derartig fatal, dass ich nicht umhin kann den Kopf zu schütteln.

Wenn eine Geschichte so tot wie jeder Gegenstand ist, was schlußfolgerst du dann? Etwa, dass es sich um keine lesenswerte Geschichte handelt?
Ich gehe mal davon aus, dass dies deine Schlußfolgerung ist, du wirst mich sicher verbessern, falls ich irre. Und ich muß ehrlich gestehen, ich wünsche mir sehr, dass ich mich irre und dich falsch interpretiere, denn ich halte dich für einen klugen Kopf.
Aber nun einmal unterstellt ich interpretierte dich richtig, so möchte ich dich provokativ fragen, was bitte dich veranlaßt so einen Unsinn zu denken?

Es gibt für mich als Leser keine toten Geschichten, denn ich füge ihnen durch meine Gefühle Leben ein.
Das ist das Mindeste was geschieht, wenn eine Geschichte vielleicht einmal arm an der Darstellung von Gefühlen ist oder gar keine schildert. Weshalb ist eine Geschichte schlechter, die mir als Leser die Möglichkeit eröffnet sie selbst mit meinen erlebten Gefühlen auszustaffieren? Der Autor gibt mir doch auf eine fast geniale Weise ein Gerüst meine Phantasie miteinzubringen und mir daraus eine Geschichte zu denken, zu erfühlen.
Ich wage sogar zu behaupten, dass es viele Geschichten gibt, die deswegen so gerne gelesen werden, weil sich jeder auf seine individuelle Weise einfühlen kann, für sich selbst bestimmen kann, was er empfindet.

Im Gegenteil geht es mir so, dass Geschichten, die mit jeder Menge Regieanweisungen überladen sind, was alles mit den Protagonisten gefühlsmäßig geschieht, mich eher in eine Art Zwangsjacke nehmen, weil ich nicht selbst anders fühlen darf.

Was veranlaßt dich einem Diamanten vorzuwerfen, dass du ihm nicht in die Augen schauen kannst? Wer will das schon? Ein Diamant kann doch, wenn sich das Licht in ihm bricht und er beginnt auf faszinierende Weise bei jeder noch so kleinen Bewegung zu funkeln, wunderschön im Auge des Betrachters sein und ihn sehr erfreuen, womit dieser Diamant im Zusammenspiel mit dem Licht bei dem Betrachter Gefühle auslöst.

Ach, ich hoffe eigentlich nur, dass ich dich komplett mißverstanden habe und warte nun gespannt auf deine Antwort.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo lakita,

ich will nur die negative Seite Deines Diamanten- Beispiels ergänzen- eigentlich gibt es imme eine Gefühls- Reaktion: Selbst das Gefühl nichts empfunden zu haben, ist ein Gefühl- Enttäuschung.

Liebe Grüße,
tschüß... Woltochinon

 

Zumindestens letzteren Punkt gab der Autor damals im Laufe einer sehr interessanten Diskussion schließlich ohne Umschweife zu (und fand das auch gar nicht abwertend).
Tatsächlich bleibt diese Geschichte nicht nur für mich (auch Häferl zumindest pflichtete mir damals bei) letztendlich völlig ohne jeglichen Inhalt, ohne Gefühl und Bedeutung.
Aber es ging ja dann noch weiter im Thread, liebe Ratte. :)
Es gab dieses eine Posting, wo der Autor meinte, die Geschichte sei doch ganz trivial. Später schrieb er aber, daß dies nur seine erste Reaktion auf die Kritiken war, über die er sich ein bisschen geärgert hat. Der Autor war/ist ja nicht sehr kg-erfahren, das sollte man, denke ich, berücksichtigen.

Lakitas Ausführungen stimme ich zu, es ist nicht notwendig, jedes Gefühl in Worte zu fassen – wenn der Autor es schafft, die Geschichte so zu schreiben, daß man als Leser sie ohnehin fühlen kann. Das gelingt aber wahrscheinlich nur, wenn der Autor selbst sie fühlt. Mit irgendeiner stumpfsinnigen, stilistisch schlecht beschriebenen Handlung wird ziemlich sicher niemand Gefühle hervorrufen. Aber es gibt hier ja mehrere Geschichten, von verschiedenen Autoren, denen das gelungen ist.

Aber ist das nicht irgendwie dasselbe wie die Sache mit dem Holzhammer? ;)

 

Liebe lakita,

ehrlich gesagt hab ich schon fast damit gerechnet, dass du dich auf meinen Verweis zu genannter Geschichte sowie meiner Bewertung oben hier melden würdest. Das folgerte ich, sobald ich wieder sah, wie geradezu überschwenglich du diese Geschichte damals kommentierst hast (aber auch viele andere taten das ja, wie man dort leicht nachlesen kann). Jetzt kristallisiert sich hier möglicherweise heraus, dass wir offenbar ganz unterschiedliche Anschauungen teilen.

Zu "Garrisons Stille" bin ich bereits damals in in diesem Beitrag sehr ausführlich eingegangen. Wenn jemand die Absicht hat, mich zu verstehen, sollte er oder sie dort nachschlagen, denn von meiner Bewertung damals würde ich auch heute noch um keinen Milimeter abweichen.

Wenn eine Geschichte so tot wie jeder Gegenstand ist, was schlußfolgerst du dann? Etwa, dass es sich um keine lesenswerte Geschichte handelt?
Darauf bin ich mit keinem Wort eingegangen. Du schließt offenbar von dir selbst auf mich. Anders kann ich mir deinen Verdacht und deine Annahme, ich hätte eine Schlussfolgerung vollzogen, nicht erklären.

Es ging mir zunächst einmal einfach nur um eine exemplarische Antwort auf arc cen ciels von mir noch mal zitierte Fragestellung nach einer Geschichte, die völlig ohne Fühlen geschrieben wurde. Weiterhin sah ich mich dazu veranlasst, meine beispielhafte Auswahl argumentiv zu untermauern - was mir übrigens gar nicht mal schwerfiel: Die für mich wirklich beeindruckende Seelenlosigkeit dieser Geschichte ist mir auch heute noch in lebhafter Erinnerung.

Es gibt für mich als Leser keine toten Geschichten, denn ich füge ihnen durch meine Gefühle Leben ein.
Zu dieser Ansicht, mit der ich ganz allgemein, also unabhängig von dir, gerechnet habe, bin ich oben bereits kurz eingegangen. Mit einer solchen Entscheidung entbindest du den Autoren von jeglicher Verantwortlichkeit, seinen Geschichten Gefühle beizugeben.


Dazu möchte ich eine passendes Beispiel anführen: Heute mittag konnte ich auf einem Flohmarkt, auf dem ich gerade unterwegs war, während ich mir die verschiedenen Stände ansah, ein kleines, so zwei, drei Jahre altes, blondes Mädchen beobachten. Es saß zu diesem Zeitpunkt auf dem Arm ihres Vaters, der sich, ebenso wie ich, die verschiedenen Stände ansah. Plötzlich knallte es aus der Ferne sehr laut. Und noch einmal. Und wieder. Es wurden, Punkt zwölf Uhr mittags, zur Eröffnung des diesjährigen Oktoberfestes heute, ganze zehn Explosionen verursacht, deren kleine, weiße Rauchwolken man am Himmel beobachten konnte. Das Mädchen fing zu schreien an. Ihr Vater konnte sie nicht beruhigen. Mit jeder neuer, lauten Explosion fuhr das Mädchen auf neue zusammen und schrie immer erbärmlicher nach ihrer Mama. Dabei streckte es hilflos einen ihrer Arme ins Leere. Ohne Ziel.

Ich empfand Mitleid mit dem Kind. Es wusste nicht, was geschah. Ihr Vater sagte dauernd zu ihr: "Ist ja gut. Es passiert dir nichts." und "Schau, da oben! Die Wolken! Und wieder eine. Immer, wenn es 'Bumm' macht!" Doch es verstand natürlich nicht. Wie hätte es das denn auch verstehen können? Und ich erinnerte mich in diesem Moment daran, was ich bisher über das Leben im zivilen Krieg erfahren habe, wenn Städte mit Raketen bombardiert werden. Dabei waren es nur die traditionellen Eröffnungsraketen für die diesjährige Wies'nzeit.

Worauf ich mit diesem, wei gesagt erst heute lebhaft erfahrenen Beispiel hinaus möchte: Man stelle sich einmal vor, das Mädchen hätte gar keine Angst gehabt - hätte aber trotzdem zu Weinen und zu Schreien angefangen! Und man stelle sich weiterhin vor, der Vater hätte mit seinem Kind abgesprochen, dass dieses zu Weinen und zu Schreien anfangen soll, sobald ich, als Zeuge dieses Ereignisses, in ihre Nähe komme und bestimmte Empfindungen in mir auslösen. Während sich auch der Vater, möglicherweise als alleiniger Drahtzieher, an diesem Schauspiel beteiligen wird.

Eine absurde Annahme, gewiss. Kinder lügen nicht. Jedenfalls nicht solange, bis sie es gelernt haben. Schreibende Autoren tun aber genau das. Sie lügen. Und das müssen sie zwangsläufig auch, denn sonst müssten all ihre Geschichten ein real erfahrenes Äquivalent aufweisen können. Und das ist, wir wissen das, nur äußerst selten der Fall.

Aber: Wenn eine Geschichte unter anderem die Themenbereiche "Stille" und "Einsamkeit" behandelt (wie bei "Garrisons Stille" geschehen), also Themen, die durchaus viel Potenzial haben, bestimmte Gefühle zu wecken, diese Themen von dem Autoren aber ausschließlich aus technischen Gründen in die Geschichte eingeflochten sind, nur um ein vollständiges Konstrukt für eine Handlung fertigstellen zu können, dann ist das für mich ungefähr so, als wenn das Kind in meinem Beispiel nur deshalb geweint hätte, weil es gerade zwölf Uhr mittags war oder ihr Vater ihr gesagt habe, dass sie jetzt mal weinen soll, weil es gerade so gut in einen bestimmten Kontext passt.

Ich hätte es als wirklich erschreckend empfunden, wenn das Kind nicht aus sich heraus geweint hätte (was ich Gott sei Dank nicht anzunehmen brauche), also stattdessen nur, weil äußere Umstände es ihr nahegebracht hätten, ohne es aber selbst zu empfinden. Was unterscheidet den Menschen nun von der Maschine? Sind es neben unserem Bewusstsein nicht vor allem unsere Empfindungen? Wenn nun einer Geschichte keinerlei Empfindungen immanent sind, wenn sie erkennbar leere Begriffe wie "Stille" und "Einsamkeit" instrumental missbraucht, dann meine ich durchaus, dass ich sie mit Recht als "tot" und nichts anderem bezeichnen kann.

Was natürlich nicht heißt, dass ich dieser toten Geschichte kein Leben mehr einhauchen könnte, indem ich mich in sie hinein versetze, diese zuvor leeren Begriffe mit meinen persönlichen Empfindungen anreichere. Aber ich meine, das ist ungefähr das gleiche, als wenn ich eine Leiche wieder versuche zum Leben zu erwecken, indem ich mir vorstelle, dass sie doch eigentlich noch wirklich am Leben ist. Dabei fällt mir unvermittelt Hitchcocks filmisches Werk "Psycho" ein, in dem Bates Mutter zwar einerseits längst tot ist, andererseits in Gestalt ihres Sohnes noch Jahre weiterlebt (aber für niemanden sonst).


Im Gegenteil geht es mir so, dass Geschichten, die mit jeder Menge Regieanweisungen überladen sind, was alles mit den Protagonisten gefühlsmäßig geschieht, mich eher in eine Art Zwangsjacke nehmen, weil ich nicht selbst anders fühlen darf.
Es geht nicht um eine Abwägung der Art: >Viele Details< - >Wenig Details<.

Es geht um Authentizität. Thematisierte Geschichte ist vollkommen unauthentisch. Und genau das ist das verurteilungswürdige daran.

Ich wage sogar zu behaupten, dass es viele Geschichten gibt, die deswegen so gerne gelesen werden, weil sich jeder auf seine individuelle Weise einfühlen kann, für sich selbst bestimmen kann, was er empfindet.
Wenn du es tatsächlich so meinst, wie du es hier schreibst, dann machst dir etwas vor. Niemand hat die Macht, darüber zu "bestimmen", was er oder sie empfindet. Schopenhauer meinte dazu sinngemäß gar

Der Mensch kann zwar tun, was er will;
aber er kann nicht wollen, was er will

Natürlich können wir uns überallhin "einfühlen". Wir meinen uns gar die ganze Welt damit "zu eigen" zu machen. Aber der Grund, weshalb ich in diesem Thema unter anderem Heideggers Philosophie erwähnt und zitiert habe, ist nun mal der bedrückende Verdacht, dass nicht wir es etwa sind, die uns diese Welt zu eigen machen, sondern dass es sich eben vielmehr geradewegs umgekehrt verhält. Wenn du nun weiterhin von "einfühlen" und "bestimmen" sprichst, bedeutet das für mich vor allem Anpassung und Entäußerung. Und sich an ausgewiesen bedeutungsfreie Geschichten anzupassen bleibt nicht ohne jede Gefahr.

Was veranlaßt dich einem Diamanten vorzuwerfen, dass du ihm nicht in die Augen schauen kannst? Wer will das schon?
Diese Frage (letztere) steht dir nicht zu. Warum vergleichst du mich mit anderen ("wer") ? In meinen Beiträgen gehe ich stets von mir persönlich aus.


Wichtiger, allgemeiner Hinweis: Philosophen sind keine Richter. Und die philosophische Ratte ist somit auch keiner.
Wer meint, dass ich zumindest zu diesem Thema hier auch nur irgendwelche Forderungen stelle, welche nicht wenigstens explizit als solche gekennzeichnet sind, sieht sich im Irrtum!

@Häferl: Ich weiß, dass der Thread damals eineinhalb Monate später noch weiter ging (dank deiner Initiative). Aber erstens mal liest Danalf diese Diskussion hier mit 99,9 % Wahrscheinlichkeit nicht mit (hat seitdem nichts mehr hier gepostet). Deshalb brauchst du ihn eigentlich nicht zu verteidigen, wie ich finde. Und zweitens hat sich mein Eindruck auch nach seiner geringfügigen Überarbeitung keinesfalls geändert (wenn du willst, nehm ich dein Urteil eben fortan aus und setze es nicht mehr meinem gleich).

 

@Häferl: Ich weiß, dass der Thread damals eineinhalb Monate später noch weiter ging (dank deiner Initiative). Aber erstens mal liest Danalf diese Diskussion hier mit 99,9 % Wahrscheinlichkeit nicht mit (hat seitdem nichts mehr hier gepostet). Deshalb brauchst du ihn eigentlich nicht zu verteidigen
Wie kommst du denn auf die Schnapsidee, daß es mir ums Verteidigen des Autoren ginge?
Ich habe vielmehr das Gefühl, daß es Dir nicht ums Diskutieren geht, sondern darum, Dich reden zu hören.

 

Geschrieben von Häferl
Wie kommst du denn auf die Schnapsidee, daß es mir ums Verteidigen des Autoren ginge?
Geschrieben von Häferl
[...] Der Autor war/ist ja nicht sehr kg-erfahren, das sollte man, denke ich, berücksichtigen.
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Geschrieben von Häferl
Ich habe vielmehr das Gefühl, daß es Dir nicht ums Diskutieren geht, sondern darum, Dich reden zu hören.
Geschrieben von Woltochinon
interessante Diskussion, Philo´s Heidegger- Hinweise lassen mich wahrscheinlich nicht einschlafen, bemerkenswert.
Geschrieben von Häferl
Also abgesehen davon, daß ich persönlich die Worte von Streicher nur unterstreichen kann, sehe ich die Diskussion so, als würde man diskutieren ob Gelb künstlerisch ambitionierter ist oder Blau, oder ob nicht eine Mischung zu Grün die einzig wahre Form wäre, und ob es schlimm ist, wenn das Blau ein bisschen rotstichig ist.
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Geschrieben von Häferl 18.09.2003
Ich behaupte nicht, die Wahrheit gepachtet zu haben. Ich sage nur meine Meinung. Und nichts anderes wollte ich auch mit meinem Posting, das Du für unwichtig erklärt hast. Mehr wollte ich nicht.

 

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