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Wenn mein Baby kommt

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09.06.2017
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Wenn mein Baby kommt

Als Leander heimkam, hatte er einen Brand. Das nasse Hemd klebte ihm am Rücken. Eine Stunde auf der A5 festgesteckt, die Bushido-CD gekillt— er war bedient.
„Hast du wieder geraucht?“, fragte sie.
Und wenn schon.
Er knallte das Notebook in die Ecke und riss die Kühlschranktür auf.
Das Licht war immer noch kaputt.
„Ich hab hier Pils reingestellt. Wo ist das?“
Denise servierte Avocado-Thunfisch-Salat.
Er ließ sich auf seinen Platz fallen.

„Arno wird Teamleiter.“
„Ist das gut oder schlecht?“, zirpte sie.
„Das einzige, was der kann, sind Gantt-Diagramme. Aber mit den Leuten in der Produktion reden oder was arbeiten, das kann der nicht."
Arno, was ein Speichellecker.
Leander wusste, wer arbeiten konnte und wer nur so tat als ob. Er war sich nicht zu schade, einen von den Hilfsarbeitern anzubrüllen, wenn es sein musste. Es war die einzige Sprache, die diese Sonderschüler verstanden. Dem Chef gefiel das nicht.
Leander kratzte sich unter dem Arm.
"Noch irgendwo Bier?“

Es war immer da. Saß wie ein stummes Gespenst mit am Tisch.

Das Telefon läutete. Denise schaute aufs Display, dann klickte sie den Anruf weg.
Lass mich doch, Anna, dachte sie. Du mit deinen Zwillingen, ach so süß.
Heute war Denise' freier Tag im Sanitärfachgeschäft. Sie hatte ihn genutzt.
Das Walnussbaguette war kross, die Meersalzbutter delikat. Auf den Villeroy & Boch-Tellern thronten Gambas an Safranreis — wertvolles Protein.
Alkohol war Gift. Sein Pils hatte sie heute Mittag weggeschüttet.
Den Karottensaft hatte Denise mit Ananas und Orange aufgepeppt, alles versucht, aber die Karotte war immer noch herauszuschmecken.
Leander ließ das Glas stehen.

Mit dem Dessert hatte sie sich selbst übertroffen: Sahnecreme mit einem Hauch von Mokka. Während er es in sich hineinschaufelte, stellte sie sich hinter ihn und massierte seine knotigen Schultern.
Das Negligée hatte sie über dreihundert Euro gekostet, war quasi ihre Investition in die Zukunft, und Gott sei dank überprüfte er ihre Kreditkartenabrechnungen nie. Leander sah zur Uhr. Sie schlang ihre Arme um seine Schultern und knabberte an seinem Ohr.
„Komm mal mit“, schnurrte sie. „Ich muss dir was zeigen.“

Er zog die Nase hoch und verschwand ins Bad. Auch gut.
Denise räumte den Geschirrspüler ein und verstaute die Essensreste, in Tupperdosen verpackt, im Kühlschrank.
Dann zündete sie die Kerzen im Schlafzimmer an und wartete.
Er kam nicht.

Sie ging ins Gästeklo und pieselte auf einen Streifen. Seit einem Jahr kaufte sie die Tests nicht mehr im Internet, sondern nur noch aus der Apotheke. Immer noch positiv. Na also.
Um neun ging sie ins blauflackernde Wohnzimmer, fand Leander auf dem Sofa schnarchend. Die Kommissarin befragte Zeugen im orangegekachelten Hallenbad. Denise schaltete den Fernseher aus, kniete auf dem Boden und pustete ihm ins Ohr. Jetzt war Raffinesse gefragt, denn morgen wäre zu spät.
Sie strich ihm über den Arm und flüsterte: „Lass uns ins Bett gehen.“
Leander hatte seine Hose geöffnet. Sein Bauch quoll über den Bund, er hatte im letzten Jahr zugelegt. Aus seiner Nase wuchsen Haare.
Es war jetzt nicht wichtig.

Denise zog ihn an den Armen.
„Herrgott, lass jetzt“, knurrte er. „Hatte einen anstrengenden Tag, ja?“
Sie spürte einen Knoten im Hals. „Es geht nur noch heute. Ganz kurz.“
„Komm, hör auf mit deinem Rumgeheule.“
Er wälzte sich vom Sofa und taumelte davon.
„Gott verdammt“, hörte sie ihn brüllen.
Sie folgte ihm in den Flur und sah die Flammen aus dem Schlafzimmer dringen.
Leander rannte los, stolperte über seine herabrutschende Hose und füllte den gelben Plastikeimer mit Wasser.

Das Schlafzimmer war verräuchert, das Ehebett schwarz. So legten sie sich zu zweit auf das große Ecksofa im Wohnzimmer.
Leander kam schnell und stieß sie wund. Ihr Negligée riss links neben der Naht auf. Denise legte sich ein Kissen unter den Po und lag noch lange wach, lauschte mit rotgeränderten Augen durch die geöffnete Balkontür nach draußen. Die Mücken stachen in dieser Sommernacht erbarmungslos zu.
Wenn erst ihr Baby käme, würde alles anders werden.
Irgendwo draußen schrie ein Tier.

 

Hi Geschichtenwerker,

ich danke dir sehr für deine Überlegungen! :) Ich hab ein bisschen über deine Kommentare #42 und #45 nachdenken müssen. Hier nun meine Antwort:

Dein Text hat für mich zwei Kernelemente, das eine ist das Eheproblem (Sprachlosigkeit, Vernachlässigung des Partners, sich gehen lassen, etc.), das andere ist die (vermeintliche) Lösung (Baby).
Beide Elemente führen zu einem Konflikt zwischen Deinen zwei Figuren, was ich schon ganz schön komplex finde, was aber auch ganz schön spannend sein könnte.
Für eine Geschichte würde ich nun erwarten, dass beide Konflikte zu einem Höhepunkt führen, dass beide Konflikte gelöst werden und dass sich die Figuren auf dem Weg zur Lösung entwickeln.
Das passiert in Deiner Geschichte aber nicht. Sie ist eine Momentaufnahme des Konflikts. In einem größeren Text wäre das für mich gerade mal der Anfang (z. B. der erste "Akt"), bei dem der Konflikt vorgestellt wird.

Also, ich sage, der Konflikt besteht ganz klar nur darin, dass an diesem einen Abend die Denise gerne von Leander besamt werden will und er müde von der Arbeit ist und keine Lust hat. Dieser Konflikt wird gelöst. Sie kriegt ihren Willen.

Dass da ein Hintergrundrauschen von weiteren Konflikten ist (sie weiß so wenig über seine Arbeitssituation, dass sie die Nachricht von Arnos Beförderung nicht einordnen kann; keiner von beiden wechselt das kaputte Birnchen im Kühlschrank usw. usf.), das streite ich nicht ab. Aber das interessiert mich hier nicht. Ich muss nicht jeden Konflikt in einer Geschichte zwanghaft auflösen.

Der nächste Punkt, der mir beim Lesen auffiel, ist eine Unschärfe bei Deiner zugrundeliegenden Prämisse. Ehrlich gesagt finde ich keine vernünftige Prämisse, die dem Text zugrunde liegt. Das kann auch an mir liegen. Jedenfalls fehlt mir dies in Deinem Text, zu spüren, worauf er hinaus will. Ich glaube, das liegt an dem Schreibübungscharakter. Du hast die Idee für diese Alltagssituation gehabt und hast sie aufgeschrieben. Was ich herauslese ist der Wille, die Tristesse darzustellen und den Mann negativ zu charakterisieren - die Frau bleibt für mich konturlos. Aber es fehlt an der tieferen Botschaft.

Tiefe Botschaft, huh ... Die gibt es in meinen Geschichten nicht, sach ich jetzt mal so eiskalt. Die gibt es zumindest bei Kirchenschatten auch nicht. Zumindest ist es als Autorin nicht meine Intention, die moralische Holzkeule zu schwingen. Das können andere besser.

Den von dir geforderten roten Faden, den habe ich hoffentlich schon. Wie schon gesagt, ich mache mir beim Schreiben Gedanken über den zentralen Konflikt und ich strebe danach, dass meine Figuren glaubhaft handeln, also dass ihre Motivation nachvollziehbar wird.

Beim Straffen der geschwätzigen Rohfassung streiche ich dann raus, was ich für nebensächlich halte. Trotzdem stellt sich das hinterher bei den Kommentatoren unterschiedlich dar: Was der eine für unwichtig hält, darin erkennt der andere ein liebevolles Detail.

Tja, wenn du deine nächste Geschichte postest ... ich weiß jetzt schon, wonach ich dich fragen werde. Fängt mit P an ... :D

Welchen Status hat eigentlich deine Bommerlunder-Story? Ist die final? Da sehe ich (typisch Anne49?!) ein gewaltiges Romantic Comedy-Potential.

LG, Anne

 
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Hi Anne49,

Welchen Status hat eigentlich deine Bommerlunder-Story? Ist die final? Da sehe ich (typisch Anne49?!) ein gewaltiges Romantic Comedy-Potential.

Das war mein allererster Geschichtenschreibversuch überhaupt und ehrlich gesagt ein Schnellschuss (und ein Luftballon, um zu sehen, wie es "in diesem Forum so läuft", die andere Geschichte war (leider) auch ein Schnellschuss, weil ich mich damals kurzfristig entschieden hatte, doch noch an der Challenge teilzunehmen.). Ein gewisses Potential sehe ich in der Geschichte auch, allerdings weiß ich nicht, ob mich eine "Romantic-Comedy" Geschichte stark genug motiviert, einen längeren Text zu produzieren (die beiden Figuren sind nach meinem empfinden auch ein wenig zu stereotyp, aber für eine "Romantic-Comedy" Geschichte wäre das in Ordnung, denke ich).

Ich bin gerade in einer Orientierungsphase, was man vielleicht auch meinem letzten Kommentar zu Deiner Geschichte anmerkt, frage mich, was ich als Autor erreichen/erzielen möchte und überlege/erprobe, was mich stärker interessiert: ein spannender, komplexer Plot oder Figuren mit interessantem Charakter und entsprechender Entwicklung. Jetzt kann man natürlich sagen, dass das eine das andere nicht ausschließt, aber um beides miteinander zu verquicken, stehe ich noch zu sehr am Anfang.

Dementsprechend weiß ich noch nicht, wann und welche Art von Text ich einstellen werde. Ich weiß, wie viel Arbeit es macht, die ganzen Kommentare zu analysieren, zu gewichten, sie zu beantworten und umzusetzen und das lohnt sich für mich angesichts meines geringen Zeitpotentials nur für einen Text, der ausgereift ist und mit dem ich ein ganz bestimmtes Ziel verfolge.

Das ist übrigens der Vorteil des Kommentierens. Es geht relativ schnell, man lernt viel und kann das Gelernte auf seine eigenen Texte anwenden.

Es freut mich, dass Dich meine Gedanken zum Nachdenken angeregt haben und dass Du in meinem Erstlingswerk sogar ein gewisses Potential siehst.

Gruß

Geschichtenwerker

P.S.:

Zumindest ist es als Autorin nicht meine Intention, die moralische Holzkeule zu schwingen.

Mit "Botschaft" meine ich nicht die moralische Holzkeule. Das kann auch eine einfache Botschaft sein, wie "Liebe macht glücklich", oder auf Deine Geschichte bezogen "erzwungener Sex zerstört die Wohnungseinrichtung" (natürlich spaßig gemeint).

 

Ihr Lieben,

für den Austausch über andere Geschichten, andere Autoren, Antriebe und Ziele usw. (die ich allesamt wichtig und interessant finde) bitte nicht diesen Geschichten-Thread benutzen. Weiteres Off-Topic wird gelöscht.
Bitte tauscht euch über PNs, den "Thread "Kaffeklatsch" oder über die Fäden im Menü "Autoren " aus.

Danke und viele Grüße,
GoMusic

 

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